Palliativer Brückendienst der Krebsliga Ostschweiz

Sterben in vertrauter Umgebung

Ich erinnere mich an eine besonders schöne Sterbebegleitung eines älteren Mannes. Ich war damals nicht nur beim Palliativen Brückendienst, sondern auch bei der Spitex in Flawil tätig. Der Mann war über 90 Jahre alt und lebte mit seiner Frau und seinem Sohn in einem grossen Haus am Dorfrand, fast auf dem Land. Er war seit mehreren Jahren chronisch krank und nahm seit einigen Jahren die Dienste der Spitex in Anspruch. Ich war als Spitex-Pflegefachfrau oft bei ihm zu Hause. Seine etwa gleichaltrige Frau litt an einer fortgeschrittenen Demenz, konnte sich aber zu diesem Zeitpunkt noch selbst versorgen.

 

Nach einem Sturz wurde er ins Krankenhaus eingeliefert, wo die Diagnose Krebs gestellt wurde. Eine Behandlung des Krebses war aufgrund seines schlechten Allgemeinzustandes und seines hohen Alters nicht mehr möglich. Sein letzter Wunsch war es, nach Hause zu seiner Frau und seinem Sohn zu dürfen und dort zu sterben. Aufgrund dieser neuen Situation musste das Betreuungsteam verstärkt werden, um jederzeit, vor allem nachts und am Wochenende, professionelle Unterstützung zu gewährleisten. So wurde auch der Palliative Brückendienst mit einbezogen. Ich erinnere mich noch gut, als dieser Mann mit der Ambulanz nach Hause gebracht wurde, es ging gerade ein Gewitter über Flawil nieder, wir mussten Schirme über die Trage halten, damit der Mann nicht ganz nass wurde, als er ins Haus transportiert wurde. Aber sein Gesicht leuchtete und strahlte, als ob die Sonne von innen aus seinen Augen scheinen würde. Er war überglücklich, wieder zu Hause zu sein, und sehr dankbar dafür.

 

Etwa eine Woche lang war er zu Hause im Kreise seiner Lieben. Dann rief mich eines Nachts in aller Frühe der Sohn über den Brückendienst Palliative Care an, weil der Mann immer schlechter Luft bekam und sie nicht mehr weiter wussten. Atemnot ist sowohl für die Betroffenen als auch für die Angehörigen ein sehr belastendes und lebensbedrohliches Symptom. Deshalb habe ich mich entschlossen, vor Ort die Situation zu analysieren. Ich fand eine sehr besorgte, aber ruhige Ehefrau und einen sehr verunsicherten Sohn vor.

 

Der Mann zeigte eine rasselnde Atmung mit bereits längeren Atempausen und Anzeichen des Sterbeprozesses. Um die Atmung zu erleichtern, positionierte ich ihn zusammen mit der Ehefrau neu und verabreichte ihm Medikamente gegen Atemnot in Form von Injektionen über die Haut. Die Atmung wurde daraufhin schnell ruhiger und entspannter, aber auch immer flacher und langsamer. Ich wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde bis zum letzten Atemzug. So blieb ich mit seiner Frau bis zum letzten Atemzug an seinem Sterbebett. Seine Frau hielt seine Hand, war ganz ruhig und sprach beruhigend auf ihn ein.

 

Durch das geöffnete Fenster hörte man die Vögel den neuen Tag begrüßen, die ersten Sonnenstrahlen schienen herein. Es war eine wunderbare Atmosphäre in diesem Zimmer. Die Frau merkte nicht, dass ihr Mann nicht mehr atmet, erst als ich es ihr nach einer Weile erklärte und zeigte, bemerkte sie es und fing erst dann an zu weinen. Ich habe sie getröstet und beruhigt und etwas später den Sohn dazu geholt, um gemeinsam die nächsten notwendigen Schritte zu besprechen.

 

Diese Situation ist mir in sehr guter Erinnerung geblieben, weil sie einfach so stimmig war in all den Momenten, die ich mit dem Verstorbenen und seinen Angehörigen erlebt habe. Menschen das Sterben in ihrer vertrauten Umgebung zu ermöglichen – würdevoll begleitet und in Frieden – ist für mich der schönste und wichtigste Teil meiner Arbeit.

Monika Eisenhut